Ungleiche Staatsangehörige
Autor: Cornelius Goop, Liechtenstein-Institut
Anders als der Ausschluss der Frauen von den politischen Partizipationsrechten in Liechtenstein ist ihre lange Diskriminierung bei Erwerb und Verlust der Staatsbürgerschaft weniger im historischen Bewusstsein verankert. Dabei stellt die Staatsbürgerschaft eine zentrale Institution der heutigen Welt dar, die eng mit der Entstehung des modernen Nationalstaats seit Ende des 18. Jahrhunderts verbunden ist. Auch in Liechtenstein entstand das Staatsbürgerschaftsrecht im heutigen Sinn erst mit der Rezeption des österreichischen Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuchs (ABGB) im Jahr 1812. Dass in ihm aber noch lange vormoderne Dynamiken über die Zugehörigkeit zum Gemeinwesen weiterlebten, zeigt sich gerade in der Ungleichbehandlung der Geschlechter. Denn einerseits war die liechtensteinische Staatsbürgerschaft noch bis weit ins 20. Jahrhundert vom Topos der «Einheit der Familie» und nicht vom Individualrecht (der Frau) her gedacht, womit die Ehe als Erwerbs- und Verlustgrund für Bürgerrechte zentral wurde. Andererseits spielte die Gemeinde rechtlich und gesellschaftlich im Denken eine wichtige Rolle (Stichwort «Brauteinkauf»), womit noch lange die Furcht vor den Ansprüchen «ausländischer Männer» am Gemeindenutzen verbunden war.
Die Regelung, dass Frauen bei der Heirat mit einem ausländischen Mann ihre Staatsbürgerschaft verlieren, kannten auch andere europäische Länder: Frankreich schaffte sie 1927, Deutschland 1949 und die Schweiz 1952 ab. Dass Liechtenstein hier (erneut) ein Nachzügler war, ist auch angesichts der vielen binationalen Ehen im Kleinstaat (seit ca. 1970 bilden sie die Mehrheit) bemerkenswert. Verstärkt aufs politische Tableau kam die Forderung nach Beibehaltung der Staatsbürgerschaft für «ausgeheiratete» Frauen ab den 1950er-Jahren, wobei Gegner neben der «Familieneinheit» auch mit biologistischen Ideen wie der «Erhaltung der Volkssubstanz» oder der «ausländischen Konkurrenz am Arbeitsplatz» argumentierten. Den entscheidenden Anstoss brachte schliesslich das 1969 im Landtag eingebrachte Postulat «Liechtensteinerin bleiben», welches einen politischen Prozess zu einem Gesetzesentwurf auslöste, der letztendlich am 11. Juli 1974 einstimmig im Landtag verabschiedet wurde. Die neuen bürgerrechtlichen Bestimmungen traten am 19. August 1974 in Kraft. Gleichzeitig wurde eine Regelung zur erleichterten Wiederaufnahme ausgebürgerter Liechtensteinerinnen geschaffen. Doch diese enthielt wieder eine Diskriminierung: Da sie dem Abstammungsprinzip folgte, galt sie nicht für einst eingebürgerte oder eingeheiratete Liechtensteinerinnen.
Gleichheit zwischen Mann und Frau beim Erwerb und Verlust der Staatsangehörigkeit war 1974 aber noch lange nicht erreicht. 1984 wurde die automatische Einbürgerung von Ausländerinnen bei einer Heirat mit einem Liechtensteiner abgeschafft. Die Gleichstellung der eingeheirateten mit den gebürtigen Liechtensteinerinnen bei der erleichterten Wiederaufnahme erfolgte erst 1986. Noch bis 1996 verlor eine Frau bei der Heirat mit einem Bürger einer anderen liechtensteinischen Gemeinde ihr bisheriges Gemeindebürgerrecht. Und erst seit 1998 können Kinder bei Geburt automatisch und bedingungslos die liechtensteinische Staatsangehörigkeit über ihre Mutter erhalten - früher hatten sie ausschliesslich diejenige des Vaters angenommen.
Dieser Beitrag erschien im Rahmen der Artikelserie «Frauen in Liechtenstein. Einblicke ins Historische Lexikon» in der Monatszeitung Lie-Zeit vom 10. August 2024.
Vor 40 Jahren, im Sommer 1984, führte Liechtenstein als letztes europäisches Land das Frauenstimm- und -wahlrecht auf Landesebene ein. Diesem Anlass widmet sich eine Artikel-Serie zur Geschichte der Frauen in Liechtenstein, die sich auf die Inhalte des Historischen Lexikons des Fürstentums Liechtenstein online (eHLFL) stützt.
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Zum Bild: Eine eine Delegation von Trachtenfrauen überbringt Regierungschef Walter Kieber (zweiter von links) und seinem Stellvertreter Hans Brunhart (links) im August 1974 symbolisch den «Dank der Liechtensteiner Frauen» für die Verwirklichung des Postulats «Liechtensteinerin bleiben». (LLA, B 222/036/006, Foto: Alfons Kieber)