«Staatskrise» vom 28. Oktober 1992
Text: Fabian Frommelt
Schon ab den 1980er Jahren war es zu Meinungsverschiedenheiten zwischen Fürstenhaus, Regierung und Landtag gekommen, etwa hinsichtlich der Stellvertretung des Fürsten, des fürstlichen Hausgesetzes, der Beamten- und Richterbestellung oder der Kompetenzverteilung in der Aussenpolitik. Ende Oktober 1992 traten die Spannungen mit unerwarteter Wucht zu Tage, als es wegen der Frage des Abstimmungstermins über den Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) zu Uneinigkeit zwischen Fürst Hans-Adam II. und der Regierung kam. Nachdem der Fürst mit der Auflösung des Landtags, der Entlassung der Regierung und der vorübergehenden Übernahme der Regierungsgeschäfte gedroht hatte, organisierte ein «Überparteiliches Komitee für Monarchie und Demokratie» eine Demonstration in Vaduz und vermittelte Gespräche zwischen Fürst, Landtag und Regierung, bei denen noch gleichentags ein Kompromiss gefunden wurde.
Am 11./13. Dezember 1992 votierte das liechtensteinische Stimmvolk für den Beitritt zum EWR – einem Aufruf des Fürsten und der Regierung entsprechend, aber im Gegensatz zur Schweiz. War somit in der Sache selbst das Einvernehmen wieder hergestellt, hatte die «Staatskrise» doch verfassungsrechtlichen Klärungsbedarf aufgezeigt. Sie wurde zum Ausgangspunkt einer langjährigen, emotional und hart geführten Diskussion über eine Revision der Verfassung, die 2003 in die Annahme einer Verfassungsvorlage des Fürstenhauses in einer Volksabstimmung mündete. Zurückgeblieben sind einerseits klärende Neuerungen in der Verfassung, andererseits aber auch kontroverse Verfassungsbestimmungen sowie Belastungen sowohl im Verhältnis zwischen dem Fürstenhaus und Teilen des Volkes als auch zwischen den Befürwortern und Gegnern der Verfassungsrevision innerhalb der Bevölkerung.
Lesen Sie dazu auch:
Staatskrise (28.10.1992)
Verfassung
Europäischer Wirtschaftsraum (EWR)
Abbildung: Am 28. Oktober 1992 demonstrierten rund 2000 Menschen vor dem Regierungsgebäude in Vaduz gegen die vom Fürsten angedrohte Entlassung der Regierung und die Auflösung des Landtags (Liechtensteinisches Landesarchiv, SgAV 5/927/1, Foto: Klaus Schädler).