Maria Eberle und das Ende der Hexenverfolgungen
Text: Cornelius Goop
Die Frau als «Hexe» ist ein alter, frauenfeindlicher Topos. Besonders tragische Folgen zeigte er in der Hochzeit der europäischen Hexenverfolgungen im 16. und 17. Jahrhundert, als die mit dem Teufel im Bunde stehende und Schaden zaubernde Hexe in wirtschaftlichen Notlagen und sozialen Konflikten als Sündenbock diente. Die viel später entstandene feministische Deutung der Hexenverfolgung als patriarchalischer Kampf gegen emanzipierte, «weise Frauen» gilt heute in der Forschung jedoch als widerlegt. Jedenfalls waren die Opfer der Hexenverfolgung mehrheitlich weiblich, wenn auch keineswegs ausschliesslich. Das gilt auch für das Gebiet des späteren Fürstentums Liechtenstein, das zwischen dem Ende des 16. und der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts mit etwa 200 Todesurteilen bei Hexenprozessen zu den Epizentren der europäischen Hexenverfolgungen gehörte. Gut dokumentiert ist die letzte, besonders intensive Prozessserie von 1679 bis 1680, bei der ungefähr zur Hälfte Männer hingerichtet wurden.
Wesentlich zum Ende der Hexenprozesse in der Grafschaft Vaduz und der Herrschaft Schellenberg beigetragen hat das mutige Handeln einer Frau, die bis heute im öffentlichen Bewusstsein kaum bekannt ist: Maria Eberle aus Planken.
Grosse Teile des Lebens von Maria Eberle liegen im Verborgenen, wie bei den meisten Menschen aus der einfachen Bevölkerung jener Zeit. Praktisch alles, was wir über sie wissen, stammt aus Akten, die im Zusammenhang mit den Hexenprozessen und ihrer Beendigung entstanden. Ihr Nachname taucht dort mit weiblicher Endung als «Eberlin» auf, so wie es in der Frühen Neuzeit üblich war. Bereits Maria Eberles Grossvater und ihre Tante waren der Hexerei angeklagt und verbrannt worden, weshalb sie den Quellen zufolge im Dorf Planken «ganz verschreit» war. Nachdem mehrere «Zeugen» sie der Hexerei beschuldigt hatten, wurde Eberle am 19. November 1680 festgenommen und auf Schloss Vaduz eingesperrt. Unter Folter gestand sie ihre «untathen und zauberey» und wurde zum Tode verurteilt. Eberle gelang jedoch die spektakuläre Flucht aus dem Schloss. Sie kroch durch ein Ofenloch und gelangte über weitere Räume in den Dachstuhl, wo sie einige Ziegel wegräumte. An zusammengebundenen Leintüchern kletterte sie vom Dach über die Mauern hinab in die Freiheit. Nachdem sie sich nach Feldkirch durchgeschlagen hatte, richtete Eberle mit Hilfe eines Notars ein Protestschreiben an den Vaduzer Landvogt, indem sie die Rechtmässigkeit ihres Verfahrens bestritt. Mit diesem Schritt gab sie den ersten bekannten Anstoss zur Beendigung der Hexenprozesse in Vaduz und Schellenberg.
Zusammen mit vier anderen Geflohenen und dem Triesner Pfarrer Valentin von Kriss wandte sich Eberle kurz darauf mit Beschwerdebriefen an Kaiser Leopold I. in Wien. Dieser untersagte 1681 die Fortführung der Prozesse und setzte eine Untersuchungskommission ein. 1685 wurden alle Urteile der Jahre 1679 und 1680 für ungültig erklärt. Ihnen waren 45 Menschen zum Opfer gefallen.
Über das weitere Schicksal Maria Eberles sind nur Bruchstücke bekannt. Nach der Aufhebung ihres Todesurteils wurde die Vaduzer Obrigkeit verpflichtet, das von ihr konfiszierte Geldvermögen von 234 Gulden und 30 Kreuzern zurückzuerstatten. Es fiel Maria Eberle aber offenbar schwer, in ein geordnetes Leben zurückzukehren: Ihr Haus in Planken liess sie zunächst leer stehen und begab sich zu Verwandten in der Herrschaft Schellenberg, von wo sie zweimal durch Musketiere in die Grafschaft Vaduz ausgewiesen wurde. Danach verliert sich ihre Spur.
Dieser Beitrag erschien im Rahmen der Artikelserie «Frauen in Liechtenstein. Einblicke ins Historische Lexikon» in der Monatszeitung Lie-Zeit vom 13. April 2024.
Vor 40 Jahren, im Sommer 1984, führte Liechtenstein als letztes europäisches Land das Frauenstimm- und -wahlrecht auf Landesebene ein. Diesem Anlass widmet sich eine Artikel-Serie zur Geschichte der Frauen in Liechtenstein, die sich auf die Inhalte des Historischen Lexikons des Fürstentums Liechtenstein online (eHLFL) stützt.
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Eberle (Eberlin), Maria
Zum Bild: Abbildung auf dem Titelblatt der Schrift «Von den gottlosen Hexen» von Reinhard Lutz, 1571. (Wikipedia)