Frauenerwerbsarbeit in Liechtenstein
Text: Cornelius Goop
Die Trennung in (Frauen-)Erwerbsarbeit als entlohnte oder anderwärtig entschädigte Arbeit einerseits und unbezahlte Haus-, Familien- oder Freiwilligenarbeit andererseits hängt mit dem Wandel von der Agrar- zur Industriegesellschaft im 19. und 20. Jahrhundert zusammen. In der vorindustriellen, bäuerlichen Welt bildeten Wohnen und Erwerbstätigkeit noch keine gesonderten Bereiche. Sie waren Teil eines ganzheitlichen Lebenszusammenhangs, in dem Frauen und Männer im Rahmen der häuslichen, noch stark auf Selbstversorgung ausgerichteten Wirtschaft in ihren jeweiligen Aufgaben- und Arbeitsbereichen zum Unterhalt der Familie beitrugen. Dennoch kannte auch diese vormoderne Gesellschaft schon «Frauenberufe», wie etwa den der Hebamme. Zur klaren Trennung der beiden Bereiche kam es aber erst durch den Aufstieg der Lohnarbeit und des bürgerlichen Familienmodells, welches den Frauen das Idealbild der «Hausfrau und Mutter» und den Männern jenes des «Versorgers» zuordnete.
In Liechtenstein spielte für die Frauenerwerbsarbeit die in den 1860er-Jahren einsetzende Industrialisierung eine wichtige Rolle. Die «Fabriklerinnen» stellten in der jahrzehntelang dominierenden Textilindustrie rund zwei Drittel der Belegschaften. Viele Frauen arbeiteten aber nur für einige Jahre von der Schulzeit bis zur Heirat, ausser in den Fabriken etwa auch im Gastgewerbe oder als Dienstmädchen, nicht selten als Saisonnière in der Schweiz. Und auch im Kleinhandel standen meist Frauen hinter der Theke. Leitende, gut bezahlte Funktionen hatten Frauen kaum inne.
Diese Verhältnisse stiessen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts vermehrt auf Kritik. Die allgemeine Akzeptanz der Frauenerwerbsarbeit und die Gleichstellung der Frauen im Berufsleben war und ist jedoch ein zäher Prozess – offiziell benötigte eine Frau bis 1992 eine Erlaubnis ihres Ehemanns, um erwerbstätig zu werden. Es arbeiteten aber immer mehr Frauen: Stellten sie 1930 noch 26 Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung, waren es im Jahr 2022 46 Prozent. Durch den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wandel, insbesondere das Wachstum des Dienstleistungssektors, und durch die verbesserten Bildungschancen der Frauen verlagerte sich das dominante Spektrum weiblicher Erwerbsarbeit zunächst zu gelernten Berufen im Büro, in der öffentlichen Verwaltung oder im Bildungs- und im Gesundheitswesen, während der Industriesektor durch den Aufstieg der Metall- und Maschinenindustrie zur Männerdomäne wurde. Seit einigen Jahren dringen Frauen auch vermehrt in typische «Männerberufe» vor.
Frauen sind jedoch noch immer wesentlich häufiger in Teilzeit beschäftigt: 2021 hatten 57 Prozent ein Pensum unter 90 Prozent im Vergleich zu nur 15 Prozent bei den Männern. War eine höhere Bezahlung des Mannes als «Ernährer» noch bis weit ins 20. Jahrhundert gesellschaftlich völlig akzeptiert, setzte inzwischen zwar ein Umdenken ein, eine statistische Lohngleichheit ist aber bis heute nicht erreicht. Dennoch weisen die geschlechterspezifischen Verschiebungen in der Arbeitswelt trotz weiter bestehender Ungleichheiten hinsichtlich Elternschaft, Kinderbetreuung oder Care-Arbeit in Richtung einer egalitäreren und durch die bessere Abschöpfung der weiblichen Arbeitskraft produktiveren Gesellschaft.
Dieser Beitrag erschien im Rahmen der Artikelserie «Frauen in Liechtenstein. Einblicke ins Historische Lexikon» in der Lie-Zeit vom 8. März 2024.
Vor 40 Jahren, im Sommer 1984, führte Liechtenstein als letztes europäisches Land das Frauenstimm- und -wahlrecht auf Landesebene ein. Diesem Anlass widmet sich eine Artikel-Serie zur Geschichte der Frauen in Liechtenstein, die sich auf die Inhalte des Historischen Lexikons des Fürstentums Liechtenstein online (eHLFL) stützt.
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Zum Bild: Hermine Heeb-Kaufmann an einer Ringspinnmaschine in der Spinnerei Jenny, Spoerry & Cie. in Vaduz, ca. 1930 (Liechtensteinisches Landesarchiv, B 65/003/027)