Erste Landtagswahlen unter der Verfassung von 1921
Text: Valentin Ritter
Mit der neuen Verfassung wurde der Landtag zu einer reinen Volksvertretung. Hatte bis anhin der Landesfürst drei Abgeordnete direkt ernannt, wurden 1922 erstmals alle 15 Mitglieder des Landtags von der stimmberechtigten Bevölkerung gewählt. Stimmberechtigt waren jedoch nur Männer, die das 24. Lebensjahr erreicht hatten. Frauen waren ausgeschlossen. Wenige Monate nach der Landtagswahl 1922 wurde das Wahl- und Stimmrechtsalter auf 21 Jahre herabgesetzt.
Mit den Wahlen von 1922 machte Liechtenstein zudem einen Schritt in Richtung Parteiendemokratie: Erstmals wurden sämtliche Kandidaten von Parteien nominiert. Zwar war schon im Hinblick auf die erstmals nach dem direkten Wahlrecht durchgeführten Wahlen vom März 1918 die Christlich-soziale Volkspartei (VP) gegründet worden; sie hatte aber nur für das Oberland Kandidaten aufgestellt. Die Fortschrittliche Bürgerpartei (FBP) war erst nach der Wahl im Dezember 1918 entstanden. Allerdings hatte das den FBP-Kreisen nahestehende Volksblatt Wahlvorschläge veröffentlicht. Aber erst die Wahl von 1922 markiert den Beginn des Zwei-Parteien-Systems, das die liechtensteinische Politik während Jahrzehnten dominierte. Begrenzt wird die Rolle der Parteien durch die ebenfalls 1921 eingeführten direktdemokratischen Elemente des Initiativ- und Referendumsrechts.
Die nach dem Majorzsystem durchgeführten Landtagswahlen vom Februar 1922 brachten einen eindeutigen Sieg der Volkspartei: Nach der Stichwahl vom 16. Februar erhielt sie elf von insgesamt 15 Mandaten. Dennoch wurde am 5. März 1922 auf Vorschlag des Landtags das FBP-Gründungsmitglied Josef Ospelt vom Fürsten zum Regierungschef ernannt. Diese Verhältnisse führten zu Spannungen, aufgrund derer Josef Ospelt schon im April 1922 demissionierte: Es war nicht mehr möglich, ohne parlamentarische Mehrheit die Regierung anzuführen. Neuer Regierungschef wurde Gustav Schädler von der Volkspartei. Seither wurde der Regierungschef stets von der Mehrheitspartei im Landtag gestellt.
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Abbildung: Mitteilung der Wahlresultate der «Volkspartei» und der «Bürgerpartei» nach dem ersten Wahlgang vom 5. Februar 1922 (Oberrheinische Nachrichten, 8. Februar 1922, S. 1).