100 Jahre Gerichtsorganisationsgesetz

05.04.2022 - Vor 100 Jahren
Das Gerichtsorganisations-Gesetz (GOG) vom 7. April 1922 zählt zum Kreis jener Gesetze, die 1922 erlassen wurden und im Rahmen der neuen Verfassung von 1921 eine selbstständige und rechtsstaatliche Rechtsordnung in Liechtenstein ausbauten. Wie das Volksrechtegesetz (VRG) oder das Landesverwaltungspflegegesetz (LVG), beide ebenso von 1922, stammte auch das GOG aus der Feder Wilhelm Becks; als technisch-juristisches Gesetz tritt es ihnen gegenüber heute in der Wahrnehmung oft in den Hintergrund.
Text: Emanuel Schädler

Im Zuge einer sogenannten «grossen Justizreform» waren rund zehn Jahre zuvor ein neues Zivilverfahrensrecht (Zivilprozessordnung und Jurisdiktionsnorm 1912; Vermittlerämtergesetz 1915) sowie ein neues Strafverfahrensrecht (Strafprozessordnung 1913) erlassen worden. Das alles betraf jedoch nur das Verfahren, nicht die Gerichtsorganisation. Hier folgte in Zivil- und Strafsachen auf das Fürstliche Landgericht in Vaduz im Instanzenzug noch immer das Fürstliche Appellationsgericht an der Fürstlichen Hofkanzlei in Wien als Zweitinstanz und als Drittinstanz, aufgrund eines Staatsvertrages mit Österreich, das k. k. Oberlandesgericht für Tirol und Vorarlberg in Innsbruck.

Erst die Verfassung von 1921 brachte bzw. verlangte einen gänzlich inländischen Instanzenzug: «In erster Instanz wird die Gerichtsbarkeit durch das Fürstliche Landgericht in Vaduz, in zweiter Instanz durch das Fürstliche Obergericht in Vaduz und in dritter Instanz durch den Fürstlichen Gerichtshof ausgeübt.» (Art. 101 Abs. 1 LV). Die detaillierte Gerichtsorganisation wurde einem eigenen, noch zu erlassenden Gesetz – eben dem GOG – anheimgestellt (Abs. 2). § 1 Abs. 1 GOG griff denn auch die zitierte Verfassungsbestimmung fast wörtlich auf und stellte, was in der Verfassung nur sinngemäss enthalten war, auch für die Drittinstanz klar: «den Fürstlichen Obersten Gerichtshof in Vaduz».

Das GOG regelte alsdann unter anderem die Zusammensetzung der Spruchkörper (Einzelrichter, Kollegium, Schöffen usw.), besondere Funktionen (Präsident, Ersatzrichter usw.) und die Ablehnung oder den Ausschluss von befangenen Gerichtspersonen. Es enthielt am Ende auch die Formel des abzulegenden Richter-Eids. Dessen zweiter Teil liest sich heute in seiner altertümelnden Formulierung als aufschlussreich darüber, welche hehren Werte und Ziele von den Richtern erwartet wurden: Diese hatten «[…] in allem, was vom Gerichte zu beurteilen ist, nach Recht und Gerechtigkeit, best Ihres Wissens und Gewissens ein allen gleich unparteiischer Richter zu sein, ohne Ansehen der Person, dem Reichen wie dem Armen, und dabei nicht ansehen Miet, Gab, Gunst, Furcht, Freundschaft noch Feindschaft, denn allein gerechtes Gericht und Recht, inmassen Sie das gegen Gott, den Allmächtigen, am jüngsten Tage verantworten können.» (§ 20 Abs. 3 GOG).

Das GOG von 1922 stand bis 2007 in Kraft und wurde bis dahin sechs Abänderungen unterzogen. Alsdann kam es zu einer Totalrevision und als sein gleichnamiger, aber inhaltlich gänzlich neuer Nachfolger wurde das heute geltende GOG von 2007 erlassen.

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Zur Abbildung: Allegorie der Justiz mit Gesetzbuch und Stab, Waage und Rutenbündel an der Fassade des Regierungsgebäudes in Vaduz. Das Mosaikbild wurde 1910/11 nach Entwürfen des Wiener Malers Rudolf Sagmeister von der Tiroler Glasmalerei- und Mosaikanstalt in Innsbruck ausgeführt (Amt für Kultur, Abteilung Denkmalpflege, Foto: Josef Ineichen, Rupperswil).

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